Schon länger wollte ich mal bei der Demo, die seit einiger Zeit in Frankfurt jeden Sonntag um 14 Uhr stattfand und durchgeführt wurde, vorbeischauen und mich selber mal von den positiven und negativen Berichten, die ich über verschiedene Internetkommunikationskanäle erhielt informieren.
Diesen Sonntag den 2. April war es dann auch soweit, das Wetter stimmte und ich hatte gerade Zeit und ging also hin. Im Vorfeld hatte ich die Initiatoren der #PulseOfEurope Demonstration / Bewegung in Interviews und im Fernsehen gesehen und fand deren Idee, eine Demo _für_ etwas zu machen nicht schlecht.

Meine Europafahne, die ich vor Jahren für eine Piratenpartei-Veranstaltung privat gekauft hatte, blieb zuhause. Ich brauche keine Europafahne schwenken um zum Ausdruck zu bringen, dass ich die friedliche Idee Europas weiterhin vertrete und unterstütze. Bei diesen Demonstrationen gibt es genügend Menschen die Fahnen schwenken werden, zumindest auf Twitter und Facebook habe ich genug Fotos gesehen. Na gut, eine virtuelle Europafahne schwenken ist erlaubt:

https://twitter.com/alexschnapper/status/848288966243749888

Schon allein in der Hinfahrt kurz vor 14 Uhr in der U-Bahn sah ich viele Menschen mit Europafahnen und kleinen Pappschildern mit positiven Europa-Botschaften. Ich hoffte sehr, nicht auf zu viele Fahnenschwenker und Europa-Jubler zu treffen. So etwas mag ich nicht. Auf kritisch Töne hoffte ich. Jedenfalls keine destruktiven oder populistischen Äußerungen. Da reagiere ich doch allergisch. Ich merkte auch beim Aufgang an der Hauptwache in Frankfurt zum Goetheplatz wie viele Familien dabei waren. Bei den jüngeren Menschen sah ich eher vereinzelt Gruppen die ich eher in eine konservative Ecke einsortiern würde, einige waren sicher das erste Mal auf einer größeren Demo. Jedenfalls nicht auf den Anti-PEGIDA/Nazi-Demos oder auch leider nicht auf Demonstrationen für „Freiheit statt Angst“ oder gegen Überwachung. Dabei sind oder waren auch diese Themen damals wie heute aktueller und wichtiger denn je. Ich möchte hier aber keinen Vergleich anstellen, wer wie eine Demo zu besuchen hat oder welche Demo die wichtigere oder besser wäre oder welche Menschen eine Demonstration oder Kundgebung zu besuchen haben.

An der Demonstration wollte ich auch mein Onlineumfeld daran teilhaben lassen, also machte ich Fotos und Videos und twitterte darüber. Tweets zu Pulse of Europe und Frankfurt können hier abgerufen werden. Mit einigen Minuten Verspätung traf ich dann auf dem fast vollen Goetheplatz ein, unheimlich viele Europa-Flaggen sichtbar. Und ab hier möchte ich meine persönliche Sichtweise einbringen, wie ich die Demonstration erlebt habe.

https://twitter.com/alexschnapper/status/848507846253740036

Stadt- und Parteienbashing sind ein NoGo!

Ich kam jedenfalls noch rechtzeitig um die Redner oder Organisatoren von „Pulse of Europe“ zu hören, die Bühne und Verstärker waren gut aufgestellt und weithin hörbar. Und dann fing es an, dass die Spielregeln von „Pulse of Europe“ erklärt wurden.

Man sei überparteilich und garantiert nicht durch wilde Verschwörungstheorien, die irgendwo im Internet geistern finanziert, sondern das alles sei durch bürgerliches Ehrenamt und Engagement auf die Beine gestellt und durch Spenden finanziert. Es gäbe nach einigen RednerInnen auch noch das offene Mikro, für das man sich vorher anmelden muss oder kann (so ganz hab ich das nicht verstanden gehabt) und dass sie ganz klar für den Frieden in Europa sind. Schließlich befürworten sie alle das friedliche Miteinander in Europa und die Idee mit dem Frieden in Europa ist ja ganz dufte und dürfte nicht in Gefahr gebracht werden wegen Populisten oder rechten Parteien. Applaus und Jubel in den ersten Reihen mit starkem Fahnengewedel.

„Der Enkel und der Opa woll’n Frieden in Europa“:

Es wurde die Geschichte von „Pulse of Europe“ erzählt und wie stolz man auf die vielen weiteren Menschen in Deutschland, aber besonders in anderen europäischen Städten ist. Besonders in Holland und Frankreich sind viele Menschen auf den Straßen und zeigen demonstrativ wie wichtig die Demokratie ist. Einer der am Mikrofon sprechenden Organisatoren meinte dann auch „durch Bewegungen wie unsere haben wir Schlimmeres in Holland verhindern können, wer weiß…“. Nun ja, ich halte das für eine stark selbst überschätzte These und Behauptung. Jedenfalls wird seit der „Pulse of Europe“ Bewegung und Demonstrationen mehr über Demokratie und was Europa eigentlich für uns getan hat und wie wichtig der friedliche Gedanke ist gesprochen. Und das sei ja auch Sinn und Zweck so einer Bewegung. Meint nun ein anderer Mann am Mikro. Zwischendurch immer wieder ein Applaus.

Das ZDF Hessen ist auch vor Ort:

Die letzten Male seien auch viele aus dem Umland Frankfurts gekommen, viele aus Offenbach. Nun aber seien diese Menschen nicht in Frankfurt, sondern würden eine eigene Demo oder was ähnliches machen wollen. Genaueres wisse man nicht, der Kontakt ist entweder abgebrochen oder nicht mehr vorhanden.

https://twitter.com/alexschnapper/status/848507985404063744

Jedenfalls wurde auf die „Offenbacher“ rumgebasht und sich lustig gemacht. Viele andere klatschten und jubelten. Ich nicht. Wieso sich nicht freuen, dass in der Nachbarstadt auch viele Leute eine Demo organisieren möchten mit den gleichen Zielen?! Ich vermute einfach, dass hier Neid aufkommt und bei den Organisatoren doch kontrolliert werden möchte, wer was für eine Demo „für“ Europa macht. Aber hey, so ist das in einer Demokratie, uns steht es frei und zu Demonstrationen zu machen. Von dem Moment an ging die Neiderei der Organisatoren los und es wurde nun auf DIE LINKE Partei öffentlich eingedroschen. So empfand ich es. Anscheinend gab es einen Offenen Brief und über diesen machten sich die zwei Redner (männlich) lustig. Im Internet findet sich der hier bei der Junge Welt  und stammt von Andrej Hunko, Diether Dehm und Alexander Ulrich der Bundestagsfraktion DIE LINKE und Fabio De Masi aus dem Europaparlament. Es ist ein wichtiger Brief mit guten Inhalten. Lest ihn euch durch.

Jedenfalls bestand die „Antwort“ der Organisatoren auf den Offenen Brief darin sich nochmals zur parteilichen Unabhängigkeit zu erklären und dass sie selber wüssten was sie da machen würden. Und ja, auch sie wissen das nicht alles top oder super ist in Europa und es viele Probleme gibt. Und wie sehr auf der Demo der friedliche Gedanke Europas betont werden würde. Ja, auf das Friedliche wird sehr oft eingegangen. Bald kann mensch hier echt Bull-Shit-Bingo spielen. Ich finde dass Neid oder Bashing auf andere ein absolutes NoGo ist!

Zum Beiweis wie schön Europa ist wurde ein Professor vorgestellt, ein Professor vom Max-Planck-Institut oder so ähnlich. Zumindest klang das schon sehr wichtig, dass da jetzt ein Professor der über Europa geforscht hat was spricht. Er hat auch das mit dem Frieden betont. Aber auch endlich schärfere Töne angesprochen und Europa aufgefordert sich um die dadurch entstandenen Probleme wie zum Beispiel Flüchtlinge zu kümmern oder eher noch – um die Ursachen. Ja, endlich. Nur richtig konkret wurde das nicht. Viel zu sehr oberflächlich umschifft. Es wurde noch nicht mal an die ertrunkenen und getöteten Menschen gedacht die beim Fluchtversuch starben. DAS wäre ein starkes Zeichen (in meinen Augen) gewesen. Passend hierzu der Tweet von Josef:

https://twitter.com/Preiselbauer/status/848510209207267329

Junge Europäer braucht die Welt

Immerhin die einzige(?) Frau auf der Bühne war eine junge Studentin mit doppelter Staatsbürgerschaft, die französische und die deutsche. Sie erzählte am Mikrofon über ihre familiäre Geschichte und infomierte auch über das andere Wahlsystem in Frankreich und was für einen politischen Stellenwert das Amt des Präsidenten hat. Im Gegensatz zu dem deutschen Bundeskanzleramt. Und sie rief auf, dass wir die französische Parole „Liberté, Égalité, Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) uns immer wieder vor Augen führen sollten. Ich persönlich finde das mit der Brüderlichkeit als Wort überholt und würde mir da wünschen, dass wir das eher in Menschlichkeit (Humanité) übersetzen sollten. Jedenfalls auch hier viel Beifall und Jubel. Ein Appell an die französischen Menschen dort aktiv wählen zu gehen und sich gegen Populismus zu entscheiden ging auch von der Rednerin aus, hier ein Tweet von einer anderen Demonstrationsteilnehmerin:

Vorsicht bei Musikauswahl

Nach den Ansprachen folgten noch kurz einige Hinweise wie die Demo ablaufen sollte und schon setzte sie sich in Bewegung zu den Klängen von „All you need is love“:

https://twitter.com/alexschnapper/status/848517864432783360

Und während alle oder die meisten dann hinter dem großen blauen „Pulse of Europe“-Banner hinterher trotteten machte ich dann doch dieses Foto von dem fast leeren Goetheplatz. Auf diesem würde der Demonstrationszug auch wieder zurückkehren später:

https://twitter.com/alexschnapper/status/848519468057866240

Ich ging noch mit bis auf der Höhe vom Dom und dort trennte ich mich von der Demo. Bei dem sonnigen Wetter wollte ich einige Minuten am Mainufer entlang gehen und über den Römerberg zurück um die dann rückkehrende Demo an der Paulskirche wieder einzufangen und zum Goetheplatz zu begleiten.  Als ich die rückkehrende Demo an der Paulskirche abfing singen einige:

https://twitter.com/alexschnapper/status/848529828743712768

Musik lief in den Pausen der Demo und begleitete die Demonstranten. Was ja nichts schlechtes ist. Was allerdings für mich dann nicht ging und ich erst hinterher realisierte war als sie am Goetheplatz ein Musikstück von Xavier Naidoo abspielten. Es war der Song „Europa“. Ich musste mehrfach hinhören um zu realisieren, dass es doch von Xavier war. Dann twitterte ich dies:

https://twitter.com/alexschnapper/status/848532531477712897

Die Songauswahl danach war mir unbekannt, jedenfalls wurden große Kreise gebildet und dazu getanzt, das hab ich auf Video auch aufgenommen und erst später online gestellt (Datenvolumen sparen!). Die Stimmung in dem Moment sehr gelassen und gelöst. Alle hielten sich an den Händen fest und begannen in kleinen und großen Kreisen und in nicht definierbaren Bewegungen zu tanzen.

https://twitter.com/alexschnapper/status/849019414456487936

Der Abschluss war dann die überlaute Musik mit der Europahymne „Freude, schöner Götterfunken“

https://twitter.com/alexschnapper/status/849020411350319105

Ja, mich hat die Stimmung und Atmosphäre am Ende auch gepackt und mitgerissen. Ich verließ die Demo doch mit einem Grinsen und einem Wohlfühl-Gefühl. Das twitterte ich auch. Selten bin ich von einer Demo so mitgerissen worden am Ende wie da. Jedenfalls habe ich lange über die Demo nachgedacht. Auch durch die vielen Retweets und Nachrichten bezüglich Naidoo-Song. Wie kann bei einer eigentlich friedlichen Demo ein Song von Xavier Naidoo gespielt werden? Jetzt werden sich viele fragen, wieso, der ist doch voll toll und singt tolle Lieder.. Hm, vielleicht liegt das daran, dass sich der Sänger auf Demonstration / Kundgebung von Reichsbürgern hat blicken lassen (FAZ online vom 16.10.2014 , BR Puls online vom 31.10.2014 ). Und was das für Leute sind ist allen klar. Sollte es eigentlich. Es sind Leute, die überhaupt nicht im Sinne von Deutschland oder Europa handeln. Deshalb verstehe ich es nicht weshalb dieser Song gespielt wurde. Wahrscheinlich weil „Europa“ der Titel war. Oder es in einigen Augen ein Wohlfühl-Titel ist.

Der Robert (@korallenherz ) hat über die „Pulse of Europe“ Veranstaltung in Dortmund gebloggt  und auch ich sehe das inzwischen kritisch wie er. Deshalb auch hier dieser Blogbeitrag. Ich habe vor nächste Woche wieder zur Demo in Frankfurt zu gehen, auch weiterhin oder eher mehr in der Beobachter-Position und mit mehr kritischem Blick. Dann kann ich mir einen eher deutlich kritischeren Text vorstellen oder mir zumuten.

Bei den Menschen im Umfeld sah ich Tweets oder Facebookeinträge wie sie mit Familie und in Feierlaune auf eine Demonstration gingen und eine gelöste Stimmung transportierten. Also Menschen, die ich die letzten Jahre vergeblich auf anderen Demonstrationen für Freiheit, Menschenrechte, Frieden, Toleranz und auch gegen Rechts (AfD, Neonazis and anderen braunen Dreck) eingeladen hatte, die aber nicht kamen oder sich nicht dafür interessierten. Plötzlich sind diese Menschen auf der Straße und schwenken Fahnen, singen Lieder, tanzen und demonstrieren.

Daher ist es normal, dass Menschen in meinem Umfeld (aus dem doch linken politischen Spektrum) und ich etwas zurückhaltend oder skeptisch bei solch neuen Demonstrationsbewegungen sind. Und auch immer wieder hinterfragen. Wie jetzt auch bommeljogi auf Twitter:

Und ihr so?

Wie ist eure Meinung zu dem Thema, zu der Bewegung? Wie habt ihr die Demonstrationen erlebt, was für Eindrücke habt ihr? Schreibt und hinterlasst mir Kommentare, würde mich über einen Austausch darüber freuen.

Titelbild: Alex Schnapper, CC0

Nachtrag:

4. April: Rechtschreibfehler und Satzbau verbessert, Danke F.

Von Alexander

5 Gedanke zu “Meine Eindrücke der #PulseOfEurope Demo in Frankfurt”
  1. Ich finde es erstaunlich, dass sich die Menschen für so etwas begeistern und einsetzen, wo Europa als Thema doch auch schon in Form der EU institutionalisiert ist – und andere Themen wie NoNazis oder Überwachung im Vergleich viel ungreifbarer daherkommen. Auf jeden Fall danke für diesen interessanten Blogpost.

  2. Danke für die Eindrücke und den gut gewählten Blickwinkel. X Naidoo spielen ist echt ein großes Fettnäpfchen und sicher keine unterschwellige Botschaft. Humanité ist von Fraternité zu weit weg, wenn man es aber sicher mitnehmen könnte. Fraternité in meinen Augen mehr Betonung auf “ Nähe“ zwischen den Bürgern. Zu Flüchtlingen wird sicherlich auch noch mehr gesagt werden, glaube in dieser sicher auch etwas amateurhaft durchdachten Demo liegt wohl die Betonung auf den Willen zum Zusammenbleiben in Europa. Und zunächst als Zeichen, das viele Bürger im Gegensatz zu nationalpopulistischen Tendenzen stehen und die Politik auf ihren Willen zu mehr Europa und v.or allem eines verantwortungsvollerem Handeln in Europa aufmerksam zu machen.

  3. Als überzeugte Europäerin habe ich mir die Demo natürlich auch selbst angetan. Mein Eindruck, sehr blauäugige Jubelveranstaltung mit etablierten Politikern die „alles ist gut wie es ist“ beschwören.
    Kritische Töne werden abgeblockt, das offene Micro für jeden ist schnell zu wenn es „nicht zur Stimmung passt“ wenn man was zu Grenzzäunen, toten Flüchtlinge im Mittelmeer und Gründe zum Erstarken der Rechten sagen möchte.

  4. Im Gegensatz zu vielen meiner strengeren Fratzbuch-Kontakte habe ich nichts gegen die Initiative Pulse of Europe, denn ich finde es erstmal rundum positiv, wenn endlich wieder massenhaft Leute für ein nicht-nationales Anliegen auf die Straße gehen; aber dabei sollten wir natürlich nicht vergessen, dass es vor allem um global-demokratische Ideen gehen sollte und nicht um kontinental-neoliberale Interessen (wie bei der EU in ihrer jetzigen Verfasstheit) – und deshalb fände ich es schön, wenn demnächst neben den Europa-Bannern auch (oder sogar stattdessen) die schon fast vergessene Flagge der Vereinten Nationen sonntags über den Zentren der Metropolen und den Köpfen der Internationalisten wehen würde.
    (s. auch: https://misanthrope.blogger.de/stories/2636865/)

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